The House

Drei Geschichten, drei Figuren, ein Haus. Die Stop-Motion-Anthologie THE HOUSE auf Netflix erzählt auf schaurige Weise von den Geheimnissen, die in den Wänden und Dielen eines alten Hauses schlummern. Ob sich ein Blick hinter die Fassade von THE HOUSE lohnt, erfahrt ihr in meiner Kritik.

DIE HANDLUNG VON THE HOUSE

Der Film erzählt in drei Episoden die Geschichte eines Hauses und ihrer zwischenzeitlichen Bewohner. In der ersten Episode zieht eine arme Familie in das Haus ein, muss sich jedoch den speziellen Bedingungen des mysteriösen Erbauers beugen. In der folgenden Episode steckt eine aufstrebende Ratte all ihr Geld in die edle Renovierung des Hauses, muss sich jedoch neben Ungeziefer auch mit aufdringlichen Kaufinteressenten herumplagen. Zuletzt wird die Geschichte einer jungen Katze erzählt, die das Haus von ihren Eltern übernommen hat und nach einer Flutkatastrophe versucht, ihr Erbe zu retten.

HOME SWEET HOME

Wer schon einmal eine neue Wohnung oder gar ein Haus bezogen hat, kennt wohl dieses mulmige Gefühl in den ersten Wochen. Dieses Gefühl, wenn man im dunklen Schlafzimmer an die Decke starrt und sich fragt, wessen Blicke sich zuvor bereits schlafsuchend in den Estrich gebohrt haben. Manchmal stößt man auch auf kleine Andenken der Vorbewohner, etwa Schrammen in der Zimmertür oder Buntstiftkrakeleien unter der alten Tapete. 

Die Autorin von THE HOUSE macht sich genau dieses Unbehagen zunutze. Die drei Geschichten stehen scheinbar zusammenhangslos da, selbst eine zeitliche Einordnung fällt schwer. Die einzige Konstante bleibt dieser ehrfürchtige Steinkubus mit den ungleichmäßigen Fenstern und dem kleinen Kuppeldach, das ihn krönt. Erhaben, zeitlos, lauernd.

IRGENDWER BEZAHLT IMMER

Mutter und Tochter polieren das gute Geschirr auf Hochglanz, während der Vater das Kaminfeuer notdürftig mit Zeitungspapier entfacht. Das Häuschen muss fein herausgeputzt sein, wenn alsbald die Verwandtschaft anrückt. Doch als es klingelt und die filzigen Gestalten mit den mürrischen Knopfaugen über die Schwelle treten, fehlt von Herzlichkeit jede Spur. Der Anlass: Eigentlich ein freudiger. Das Neugeborene wird jedoch ruppig auf sein minderwertiges Geschlecht reduziert. Noch ein Mädchen, wieder kein Stammhalter. Einstige Enttäuschung ist inzwischen Starrsinn gewichen, einen nächsten Besuch wird es wohl nicht geben.

Im ersten Kapitel präsentiert uns THE HOUSE seinen vermeintlichen Ursprung. Eine kleine Familie in ärmlichen Verhältnissen scheint sich ihrem Schicksal ergeben zu haben. Die Eltern wirken resigniert und lethargisch, lediglich die kleine Tochter erfüllt das Häuschen durch ihre kindliche Unbekümmertheit mit etwas Leben. Doch alles ändert sich, als der Vater nach nächtlicher Zechtour aufgeregt ins Haus stürmt und etwas Unglaubliches verkündet: Uns wurde ein Haus geschenkt!

TRUGBILDER UND KÄFERMUSICALS

Bereits nach kurzer Zeit hat sich der Zuschauer an die Filzfiguren mit den winzigen Gesichtern gewöhnt. Nun kann aus der Illusion Realität werden. Während der ruhigen Nahaufnahmen ertappt man sich dabei, Emotionen in den starren Glasaugen erkannt zu haben. Das erahnbare Grauen nimmt langsam Fahrt auf, wir erleben die Transformation der einst liebenden Eltern aus Sicht der verzweifelten Tochter. Doch sie kämpft, will ihre Familie retten. Sie kämpft nicht nur gegen stumme Handwerker, die zwischen den Dielen zu leben scheinen. Auch nicht gegen den mysteriösen Gönner, der nachts mit vor Lachen wippender Lockenperücke neben ihrem Bett auftaucht. Doch der Ursprung des Grauens scheint übermächtig, gar nicht greifbar, allumgebend. Das Haus ist der wahre Feind. Doch wie bekämpft man Etwas aus totem Stein?

THE HOUSE konfrontiert Protagonisten wie Zuschauer in jeder Episode mit einer Vielzahl von Phantasmagorien, eine trügerischer als die nächste. Erscheint das modern renovierte Innenleben des Hauses im zweiten Kapitel noch vielversprechend für den ehrgeizigen Ratten-Immobilienmakler, zieht das Haus schon die nächsten Eindringlinge an. Stets wirken die einst hellen Zimmer zunehmend düsterer, beklemmender, lebensfeindlicher. Manchmal wirkt die Szenerie auch unerwartet schrill, wenn etwa die Käferplage den verzweifelten Nager mit einer musicalreifen Tanzeinlage verhöhnt. Stets bleibt der Erzählstil unaufgeregt, was den Nervenkitzel jedoch ins schier Grenzenlose steigert. Was hat es bloß mit diesen unförmigen Kaufinteressenten auf sich, die im frisch renovierten Schlafzimmer hausen und keinerlei Anstalten machen, zeitnah zu gehen?

UND DIE MORAL VON DER GESCHICHT‘

Ganz anders zeigt sich die dritte Episode, in der eine junge Katze sich als Vermieterin gegen zwei zahlungsunwillige Mieter behaupten muss. Erstmals offenbart sich das Haus hier als etwas schützenswertes, geliebtes, auch wenn die Welt um es herum bereits von Wasser verschluckt wurde. Wo das erste Kapitel vor allem atmosphärisch überzeugen konnte, kreist die letzte um menschliche Bedürfnisse nach Sicherheit und Wertschätzung sowie auferlegte Verpflichtungen. So offenbart sich nach jedem Kapitel offenbart immer ein loser Moralfaden für den Zuschauer. Diese fügen sich nach Ende der dritten Episode im Abspann zu einer Quintessenz zusammen, die so simpel wie einleuchtend lautet:

What’s the difference between a house and a home?
A home is a place you never feel alone
But a house, oh, a house is
Just a collection of bricks
  („This House is…“ von Jarvis Cocker
)

Der Stop-Motion-Anthologie THE HOUSE gelingt es, drei spannende wie inspirierende Geschichten um dasselbe Haus zu erzählen. Die zweite Episode fällt jedoch durch ihre zu starke Anlehnung an das Home Invasion-Genre hinter die beiden anderen zurück. Auch ähneln sich die beiden letzten Kapitel zu stark im Animationsstil, auch wenn dieser sich stets auf höchsten Niveau bewegt. Am Ende offenbaren die scheinbar losen Erzählungen ihre moralische Verbindung, die elegant mahnende sowie fürsorgliche Elemente in sich vereint. Wer eine Vorliebe für schaurige Parabeln á la CORALINE hat, sollte THE HOUSE definitiv einen Besuch abstatten.

Titel: The House
Regie: Paloma Baeza, Emma De Swaef, Niki Lindroth von Bahr, Marc James Roels
Besetzung: Matthew Goode, Helena Bonham Carter, Mia Goth, Paul Kaye, Susan Wokoma uvm.
Drehbuch: Enda Walsh
Laufzeit: 1h37m

Veröffentlichung: 14.01.2022 (Netflix)
Quelle: imdb.com

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