Contra

Deutsche Universitäten haben sich im Lauf der Zeit von elitären Kaderschmieden mehr zu weltoffenen Förderstätten für Lernwillige aller Gesellschaftsklassen entwickelt. Doch wie geht man damit um, wenn unter den Professoren ein offenkundiger Rassist arbeitet und Studierende vor versammeltem Auditorium diffamiert? Hiermit beschäftigt sich CONTRA.

Ein Eklat an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main! Professor Dr. Richard Pohl (CHRISTOPH MARIA HERBST) droht der Ausschluss aus dem Kollegium, nachdem er die Studentin Naima Hamid (NILAM FAROOQ) im vollbesetzten Hörsaal rassistisch und sexistisch beleidigt hat. Ein Video der Situation geht viral; und ruft innerhalb weniger Tage neben zahlreichen Beschwerden auch eine Entlassungspetition mit zehntausenden Unterschriften auf den Plan. Universitätspräsident Lambrecht (ERNST STÖTZNER) sieht nur eine Möglichkeit, wie sein Kollege den Disziplinarausschuss milde stimmen kann: Pohl soll Naima für einen bundesweiten Debattierwettbewerb fit machen, um so Besserungswillen zu zeigen.

EIN DECKMANTEL NAMENS KULTIVIERTHEIT

Es ist kein Geheimnis, dass menschenverachtende Denkmuster wie Rassismus oder Sexismus sich durch alle Gesellschaftsschichten ziehen. Umso erschreckender erscheint es trotzdem noch, wenn vermeintlich hochintellektuelle Menschen mit Vorbildfunktion kultiviert eingefärbte Abartigkeiten von sich geben. Und auch unser Hochschulwesen bietet solchen mitteilungsbedürftigen „Freigeistern“ bis heute regelmäßig eine Bühne. Daher dürfte einigen Zuschauer die Figur des Professor Pohl aus CONTRA durchaus bekannt vorkommen. Getarnt hinter einem makellosen Auftreten in Anzug und Krawatte, hängen dem wortgewandten Juristen täglich tausende Studierende an den Lippen. Der Hörsaal ist sein Königreich, wo er unangefochten herrscht und das Volk mit Brotkrumen in Form von Wissen speist. Doch wehe dem, der aufbegehrt oder die gnädig hingeworfenen Brocken nicht wertschätzt. Der wird in die Arena gezerrt und in aller Öffentlichkeit verbal ausgepeitscht.

CHRISTOPH MARIA HERBST hat sich in den letzten 15 Jahren ein scharfkantiges Rollenprofil zugelegt. Sein Talent für emotional wie empathisch verknöcherte Unsympathen mit Hang zum selbstverliebten Schwadronieren hat der gelernte Bankkaufmann bereits eindringlich in STROMBERG, 300 WORTE DEUTSCH oder zuletzt DER VORNAME demonstriert. Wäre der Duden bebildert, würde man neben dem Begriff „Piefigkeit“ wohl ein Bild von CHRISTOPH MARIA HERBST finden. In CONTRA läuft Herbst zu Höchstformen auf und spielt den Professoren mit überbordender Selbstgewissheit und verbaler Versiertheit. Sympathie für diesen menschgewordenen Stock im Arsch? Gänzlich ausgeschlossen. Lediglich sein ausgeprägter Zynismus sowie der unverblümt diskriminierende Unterton in allen Lebenslagen bleiben hinter der kongenial-widerwärtigen Darstellung von DANIEL AUTEUIL aus der französischen Vorlage LE BRIO (deutscher Titel: DIE BRILLANTE MADEMOISELLE NEÏLA) zurück.

EIN HAUCH VON MILIEUSTUDIE

Als Gegenpart zum „alten, weißen Mann“ tritt NILAM FAROOQ auf. Die Berlinerin mit pakistanisch-polnischen Wurzeln schlüpft in die Rolle der Studentin Naima, die am ersten Vorlesungstag direkt mit Unpünktlichkeit glänzt. Durch diese Lappalie setzt Drehbuchautor DORON WISOTZKY die fortlaufenden Geschehnisse von CONTRA in Gang. Naima wird als junge arabische Frau mit wachem Verstand vorgestellt, die mit ihrer Familie in den Frankfurter Hochhausvierteln lebt. Ihr Ziel: Eine angesehene Anwältin werden.

Regisseur SÖNKE WORTMANN zeichnet anhand von Naimas Familie ein leicht zugängliches Bild der deutschen Integrationspolitik und ihrer Probleme. Naimas Mutter, studierte Biochemikerin, muss ihre beiden Kinder und die eigene Mutter mit mehreren Gelegenheitsjobs über Wasser halten; da niemand sie trotz ihrer Qualifikationen einstellt. Auch die beiden Kinder müssen bereits mit anpacken und sich als schlechtbezahlte Prospektverteiler nachts von Zeitungsrohr zu Zeitungsrohr durchschlagen. Das Frankfurter Betonpanorama dient hier als Auffangstelle für andere Menschen mit ähnlichen Geschichten, ansehnlich eingefangen von HOLLY FINKs Kamera. Perspektivlosigkeit und Frustration werden spürbar in den kargen Häuserschluchten. Die Hoffnung ruht auf der jungen Generation, die auf einem Kinderspielplatz abhängt und leidenschaftlich „Die Werwölfe von Düsterwald“ ausdiskutiert.

FEELGOOD STATT TIEFGANG

SÖNKE WORTMANN verzichtet jedoch weitgehend auf komplexe oder provokante Ausleuchtungen der deutschen Einwanderungsproblematik. Auch bei der Verharmlosung von Alltagsrassismus oder sexistischen Anmaßungen kratzt er nur an der Oberfläche. Das ist insofern schade, da NILAM FAROOQ mit ihrer Darstellung als resolute, aber verunsicherte Studentin einen ambivalenten Eindruck hinterlässt; und dem vereinnahmenden Spiel von CHRISTOPH MARIA HERBST sowie dessen grenzwertigen Attacken stark Parolie bietet. Die weitere Geschichte nimmt den Ablauf ähnlich eines Sportlerdramas, bei dem der Debattierwettbewerb stets im Zentrum steht. Die eingestreute Liebelei zwischen Naima und ihrem Jugendfreund Mo (HASSAN AKOUCH) setzt auflockernd-authentische Akzente und gibt kurze Einblicke in ihre Gedankenwelt sowie die Sehnsucht nach der erlösenden „Kartoffelparty“.

Trotz der rundgeschliffenen Kanten im Vergleich mit LE BRIO (insbesondere durch die gezielte Aufweichung von Professors Pohls Engstirnigkeit durch einen angedichteten familiären Hintergrund sowie eine „Auflockerungsübung“ vor Justizterminen) kommt der Rhetorik ein großer Anteil zu Gute und gibt etwas verkürzte, jedoch exemplarische Einblicke in die „Kunst des Überzeugens“ von Schopenhauer und Konsorten. Die zufälligen Debattierthemen wirken jedoch arg auf den aktuellen Zeitgeist gemünzt, weshalb etwa Naimas feurige Ausführungen zur Frage „Ist der Islam gefährlich?“ mehr wie ein eingestreuter Kommentar der Filmemacher erscheint. CONTRA schafft es zwar nicht, die provokant-ruppige Thematisierung von Rassismus und Sexismus des französischen Originals zu transportieren und spült einige Elemente zugunsten der Massentauglichkeit weich. Trotzdem stellt SÖNKE WORTMANN mithilfe zweier herausragender Darsteller sowie einer gelungenen Lokalisierung eine Komödie auf die Beine, die zumindest kurzweilig die Zuschauer unterhalten wie moralisch beschäftigen kann. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Titel: Contra
Regie: Sönke Wortmann
Darsteller: Christoph Maria Herbst, Nilam Farooq, Hassan Akkouch, Mohamed Issa
Drehbuch: Doron Wisotzky
Laufzeit: 1h48m

Veröffentlichung: 28.10.2021 (Kino)
Quelle: imdb.com

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